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Praxis für systemische Lebensberatung und systemische Biografiearbeit

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Systemische Biografiearbeit - Kartografie des Lebens und der Seele



»Es war einmal« ist nicht nur Vergangenes in Form von Zeit. Dies ist auch ein Anderswo, welches in der Seele wohnt. Ein Ort der Buntheit, Leichtigkeit, aber auch der Schwere. Es war einmal bedeutet, dass die Bewohner dieser Seelenlandschaft zu dir gehören. Sie leben, oft unbemerkt und ausgeschlossen in der Seele weiter. Geschichten erinnern! Erinnern, an Wünsche und Sehnsüchte, Heiteres und Trauriges, sowie an die Situationen im Leben, welche in der Tiefe der Seele »vergraben« wurden, weil das Hinschauen noch immer traurig macht und weh tut.

Sich an das erinnern, wo noch ein Ausgleich oder Abschied fehlt. Solches einem guten Abschluss zuführen, macht die Seele weit und bereit für Neues. Dazu muss man wissen: Geschichten des Lebens und der Seele sind nie Vergangenheit. Sie spinnen ihre Fäden aus dem Damals in das Heute und somit auch in das Morgen hinein. Die Seele beinhaltet die erlebte und angesammelte Geschichte eines Menschen. Seele ist er- und gelebtes Leben.


Die ersten Hinweise zur Biografiearbeit finden wir 300 n. Chr. bei Lactantius, der »religio« mit dem lateinischen »religare« in Verbindung brachte. Die Bedeutung liegt auf Rückverbindung und ist somit eine durchaus zutreffende Analogie zur Biografiearbeit.

Anamnese, griech. »Erinnerung« war bereits zu Zeiten von Asklepios, dem Ahnherrn der Heilkunst, ein hilfreiches Instrument für das professionelle Erfragen von relevanten Informationen mit dem Ziel die Vorgeschichte des Patienten zu erfassen und zu ordnen.

In Platons Theorien und Lehren über die unsterbliche Seele und dass diese die erlebte und angesammelte Geschichte eines Menschen beinhaltet, begegnen wir erneut der Anamnese. Platon vertritt die These, dass mit der Geburt eines Menschen dessen angesammeltes Wissen in die Tiefen der Seele fällt und nun nicht mehr aktiv zur Verfügung steht.

Folgen wir Platons Theorie, so erschafft der Intellekt des Menschen kein neues Wissen, sondern jede neue Erkenntnis beruht auf (Wieder-)Erinnern. Äußere Impulse, wie systemische Biografiearbeit öffnen eine Art (seelischen) Zugang und bewirken, dass die der Vergessenheit anheimgefallenen Geschichten des Lebens aus den Tiefen der Zeit nach oben ins Bewusstsein gelangen.

Systemische Biografiearbeit ist kein Frage- und Antwortspiel und ebenso wenig ein Instrument für die Neugierde des Fragenden. Systemische Biografiearbeit ist verbunden mit Achtung und Würdigung des Menschen. Das Familiensystem mit seinen Ordnungen in der Herkunfts- und Gegenwartsfamilie, den darin wirkenden Kräften, Konflikten und Verstrickungen wird miteinbezogen.

Systemische Biografiearbeit ist ein bewusstes Eintauchen und Auseinandersetzen mit der eigenen Vergangenheit. Eine (vielleicht zum ersten Mal stattfindende) Annäherung und Rückverbindung (»re-ligio«) zu den eigenen Wurzeln der Herkunftsfamilie. Ein erster mutiger Schritt, die eigene Lebensgeschichte zu betrachten.

Eine gut vorbereitete systemische Biografiearbeit ist vergleichbar mit einer Landkarte, deren Gesamtheit sich nicht auf den ersten Blick zeigt. Es ist der Weg der kleinen Schritte, der aus einzelnen Informationen ein erstes Bild entstehen lässt.

Systemische Biografiearbeit hat nichts mit »machen« oder gar »heilen« zu tun. Sie beruht darin, einen Impuls im Einklang mit der Seele des Klienten zu geben, damit das Fehlende einen guten und angemessenen Platz in dessen Seele erhält.

»Ich erinnere mich, also weiß ich, wer ich bin.« Identität, Individualität und seine Wurzeln findet und entdeckt der Mensch in den Geschichten seines Lebens. Das Anliegen des Klienten gibt vor, wonach und auf welcher Ebene gefahndet wird. Nicht immer geht es um Verstrickungen in der Seele. Systemische Biografiearbeit kann ebenso die »Sternstunden« eines Lebens (nochmals) lebendig werden lassen.

Systemische Biografiearbeit ist vergleichbar mit einem Fahndungsauftrag nach dem »Was liegt dahinter?« Eine Grenzlinie wird sichtbar zwischen dem was der Klient glaubt, was es ist (das ist es NIEMALS!) und der tatsächlichen Ursache für die Verstrickung. Das Bewusstmachen dieser Trennung ist ein erster Schritt zu einer Neuorientierung im Leben.

Systemische Biografiearbeit führt unweigerlich in die Vergangenheit und manchmal in ein Tal der Tränen. »Schau hin, und geh weiter,«, spricht Dante Alighieri in seiner »Göttlichen Komödie.« Dieses Hinschauen ist mit einem traurigen und schmerzhaften Prozess verbunden, in welchem die aufpolierten Chromleisten des Egos ihren Glanz verlieren, wenn die bisher aufrecht gehaltene Lebenslüge mit der Wirklichkeit Platz tauscht.

Das durch systemische Biografiearbeit in Gang gesetzte Erinnerungswerk ermöglicht eine Versöhnung mit dem Widersprüchlichen und dem Scheitern im Leben. Solches einem guten Abschluss zuführen, macht die Seele weit und bereit für Neues.

Bei den Fragen zur systemischen Biografiearbeit muss berücksichtigt werden, in welcher Zeit das betreffende Familienmitglied gelebt hat. Als Bild: Homosexualität, ein uneheliches Kind, die Einlieferung in eine (psychiatrische) Anstalt sind heute im 21. Jahrhundert weniger Makel als zur Zeit der Eltern oder Großeltern. Ebenso ein Familienmitglied, das Selbstmord begeht.

Meist wurde über diese Familienmitglieder nie wieder gesprochen. Der Onkel Franz, die Tante Mitzi, der Opa, über sie wurde der Mantel des Schweigens gebreitet und mit der Zeit hörten sie auf, im Außen zu existieren. Liegen einer systemischen Biografiearbeit die »richtigen« Fragen zu Grunde, findet ein konstruktives Schauen und ein seelischer Versöhnungsprozess nicht nur für das eigene Leben statt. Der Onkel Franz, die Tante Mitzi und der Opa, gleich gültig, was ihre »Schuld«, ihr Schicksal war, dürfen wieder »dazugehören.«

Ein »Kapitel des Lebens« wird in der Seele geschlossen. Die Traurigkeit, die Schuld, oder welche Belastung auch immer, verabschiedet sich aus dem Leben. Jene Kräfte und ebenso die Lebensfreude, welche vorher (in der Vergangenheit) gebunden waren, stehen nun wieder für Neues im Leben zur Verfügung.

Falls der geschätzte Leser nun meint: »Ach das ist schon so lange her, darüber bin ich längst hinweg.«, so möge er bedenken, dass diese unbeendeten »Kapitel des Lebens« dennoch da sind und viele Kräfte gebunden halten. Kräfte, die nun für Neues fehlen.


© Ferdinand J. Heindl, 2022